Das Differentielle-Dialektische Modell der Depression (DDMD)



Das neue Modell depressiver Störungen



In Anlehnung an das Modell von Linehan einer gestörten emotionalen Regulation bei der Borderline Persönlichkeitsstörung und den Hypothesen zur depressiven Reaktion entstand ein entsprechendes Modell für die Depression.
Da der Begriff der Depression sehr unterschiedliche Verwendung findet, soll zunächst die hier verwendete Definition vorangestellt werden.
Abgegrenzt wird ein klinisches Erscheinungsbild, das depressive Syndrom. Hierbei handelt es sich um einen Symptomenkomplex. Über die Pathogenese wird in diesem Zusammenhang nichts implizit ausgesagt. Häufige Hauptsymptome sind eine gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit und ein verminderter Antrieb. Hinzu kommen Zusatzsymptome wie eine verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit (vergleiche auch ICD 10 F32 (
Dilling, Mombour, & Schmidt, 2000). Der Deadlock bzw. der Shutdown oder der depressive Modus stellt die gemeinsame Endstrecke, im Sinne einer elementaren psychischen Dimension der unterschiedlich ausgestalteten depressiven Syndrome dar. Nach Gut (1989) signalisiert der „depressive Affekt“ (Deadlock) einen intrapsychischen Stillstand. Beide Begriffe werden hier synonym verwendet. Das depressive Verhalten tritt im Gegensatz zum depressiven Modus im Kontext einer geringeren emotionalen Last auf. Bei der Entstehung spielen die Konsequenzen des Verhaltens eine wesentliche Rolle.
Grundsätzlich lässt sich die Depression als eine Strategie emotionaler Verarbeitung interpretieren. Alle Strategien haben zum Ziel die emotionale Last zu reduzieren. Um die einzelnen Strategien nicht zu bewerten wurde die „Prozedur“ als Begrifflichkeit eingeführt.
Bei der 1. Prozedur handelt es sich um funktionales Verhalten, d.h. Schuld wird durch Sühne, etc. abgeschwächt bzw. transformiert und damit die emotionale Last reduziert bzw. aufgehoben.
Bei der 2. Prozedur wird die emotionale Last durch die Transformation eines aversiven Gefühls in ein weniger aversives Gefühl reduziert.
Die 3. Prozedur beinhaltet dysfunktionales Verhalten wie sich selbst verletzen, sozialer Rückzug, Konsum psychotroper Substanzen etc.. Auch hier wir zumindest kurzfristig die emotionale Last reduziert. Auch das depressive Verhalten lässt sich hier einordnen.
Die 4. Prozedur ist der depressive Modus (Deadlock). Im Unterschied zu den Prozeduren 1-3 kommt es nicht zu einer Reduktion der emotionalen Last. Es handelt sich vielmehr um ein Abschalten des emotionsverarbeitenden Systems. Es hängt dann von eher zufälligen, systemunabhängigen Faktoren ab, inwieweit nach „Lockerung“ des Deadlocks das emotionale System eine Entlastung erfährt.

Folie031

Überträgt man nun dieses Modell in jenes von Linehan, ergibt sich folgendes Bild: Die Patienten reagieren interindividuell unterschiedlich auf emotionale Stimuli mit unterschiedlichen Prozeduren. Je höher der Stress ist, dienen die Prozeduren 1, 2, 3 und schließlich 4 zur Senkung bzw. dem Einfrieren der emotionalen Last. In Analogie zum Modell der Spannungskurve von Linehan wurde ein Punkt 70 definiert. Oberhalb dieser Grenze ist die Wahrnehmung und Analyse problematischer Situationen eingeschränkt und zieht begrenzte Lösungsmöglichkeiten auf der Verhaltensebene (Denken, Fühlen, Verhalten) nach sich. Hier manifestieren sich gehäuft dysfunktionale Verhaltensmuster wie Störungen des Essverhaltes, Missbrauch von psychotropen Substanzen, selbstverletzendes Verhalten etc. oder es kommt schließlich und endlich zum Deadlock. Der Deadlock ist eine Art Verklemmung im Prozess. Die „Verarbeitung“ kommt zum Erliegen, es tritt ein Stillstand ein. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und unter den bestehenden Umständen ist eine Lösung ausgeschlossen.


Folie035

Differenzierung der Depression

Die hier vorgenommene Einteilung depressiver Störungen erfolgte am ehesten in Anlehnung an das Vulnerabilitäts-Stress Modell. Es werden 3 Typen unterschieden:


Typ


Bezeichnung

Ursache

I

Qualitative Last

Akute Aktivierung einer oder mehrerer aversiver Emotionen. Aktueller Stress

II

Quantitative Last

Kumulation aversiver Emotionen. Vorfeldfaktoren

III

Historische Last

Erhöhte Sensitivität des EVS. Persönlichkeitsfaktoren

EVS = Emotionsverarbeitendes System